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Freitag, 10. November 2017

Treibgut Nachtfehl


Manche Tage hüllen sich in Nebel und moosfilzige Mäntel.
Novembertage, gern. Als wüssten sie, dass manchmal Zurückhaltung passen könnte.

Und trotzdem kann man ausrutschen auf ihrem Gras und ihren feuchten Steinen und Soldatenmüllscherben im alten Laub. Ausrutschen da, wo eine Stadtschreiberin jetzt wieder ein bundesdeutsches Haus hütet: Nicht allzu weit von der Mauer, die vor 28 Jahren zu verschwinden begann. Nicht weit vom Schaufensterprogromkristall, das zerschmissen wurde vor 79 Jahren.
Ausrutschen, schwindlig werden geht gut am wohl deutschesten Datum wie dem gestrigen.
Ausnahmsweise ein Foto nicht aus Kronstadt: Jüngere Geschichte sitzt im Kreis, Wald bei Jüterbog, Brandenburg, 11 2017
Zumal im mager auslaufenden Speckgürtel von Berlin, wo es Wälder gibt, in denen Hügel aus Russenmüllstapeln bestehen und Täler aus Explosionskuhlen und Übungsschützengräben. 
Aber haben nur in Deutschland der Erste, der Zweite Weltkrieg und der Kalte Krieg ihre Spuren ins Land getrieben?
I wo, natürlich weit gefehlt.

Bis nach Rumänien, durch Siebenbürgen sind sie gestürmt, diese Kriege.
Haben auch hier kaputtgeschmissen und totgehauen: Juden etwa, mit teils unheimlichem Fleiß. Und natürlich Soldaten. Rumänische, siebenbürgische, deutsche... . Das Grab, beispielsweise, eines in Stettin geborenen Stadtschreiberinnen-Großonkels wird heute noch bei Temeswar von einer Rumänin betreut.
Museen in Kronstadt oder Deutsch Weißkirch oder Meschen zeigen Welt-Waldkriegsfunde.
Und auch in Kronstadt gibt es Luftschutzbunker aus dem dunklen Bauch des 20. Jahrhunderts. In Karpatenvorhutsfels gekratzt, wie es sich für eine Stadt in den Armen der Berge gehört.
Vor fünf Wochen noch war die Stadtschreiberin da, hat Taschenlampen-Wandermonde am Fels gesehen, ist unter den Raupenberg gestiegen als plastikblauer Treibgutgeist. 
Und weil also alles schwindligmachend mit allem zusammengehört, folgt recht guten Gewissens ein Hörtipp in eigener Sache. Für eine Hörstunde, die in einer Dachkammer unter dem Zinnenwald beendet wurde. Und sich nun eignen könnte etwa für einen solcher nebligen Tage.  
Fotos 1, 3, 4 Kronstadt, Raupenberg. Und... Wandermond.
HÖRTIPP 
Nachtfehl (Eine Zimmerreise) 

Ein Mann, im Rollstuhl wie in einem Treibgutboot. Doch er erzählt. Geschichte. Geschichten. Spannende, aus seinem Leben im Irak und in Ghana, in der BRD, in der DDR und dem Deutschen Reich, das ihm ein Auge ausgeschossen hat. Von Lebensgier erzählt er und von Wissensdurst. Von Revolution und Zweifel, Liebe und Hassliebe, Tagtraum, Nachtalb.
Und immer wieder zwischendurch ein Schreck: Bin ich allein, ist jemand da? Wo ist richtig und wo falsch? Unheimlich, wohin der Kopf so mit uns reisen kann. 

Radiostück von Paula Schneider, 50 Minuten. 
Ursendung heute, 10.11.2017 im Deutschlandfunk, 20:10 Uhr. Mehr Informationen, und genau ab jetzt auch hörbar hier (Deutschlandfunk.de unter Das Feature). 


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Donnerstag, 31. August 2017

Applaus für rumänische Sommerabende


Noch streckt er sich, noch will er was, der rumänische, der siebenbürgische, der Kronstädter Sommer. Auch wenn er wird gehen müssen, auch wenn der meteorologische Herbstanfang das schon befehlen will. Wie sang einst Tamara Danz, "Dieser Sommer liegt im Sterben". Und Rilke, ein Menschenleben eher: "Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß."

Noch aber lebt der Sommer, noch hat er zu ernten. Noch funktionieren Sonnenuhren wie die gewaltig gebogene an der alten, eben gefeierten, evangelischen Kirche Bartholomä.
Noch duften und atmen die Nächte.
Street-Food-Festival bis in die Nacht am Sockel der Zinne, 27. August 2017
Mal himmelhoch in Ausgehlaune, mal bis an die Ränder der Wälder kreativ.

Dafür hier, zum August-Ende, Lied und Applaus:
Mit einem Sommerabendblick über die Stadt, über Nachthimmelhügel, Rathausturmlicht, Zitadellengespenst und Historie; über, gut getarnt, die (Nacht-)Schwarze Kirche.
Und mit dem Ende des sehenswerten Kurzfilms "Cânta" ("Singen") des Ungarn Kristóf Deák von 2016, am Zinnenhang gezeigt im Rahmen der Caravana Filmelor Next.



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Sonntag, 20. August 2017

Wilder Hafer


Rau soll er sein, der Landstrich und sein Wetter; dem Hafer gefiel´s, erzählt man sich: im Haferland, ein paar Dörfern und Äckern und Hügeln im Kreis Kronstadt und im Nachbarkreis Mures.
Wie fast überall in Siebenbürgen auch hier: Viele sind vor Jahrhunderten gekommen, haben gebaut, sind mehr geworden, und dann, viel später, in großen Mengen wieder gegangen. Manche kamen danach, Andere blieben, füllen ein paar der zahllosen leeren Häuser. Und wieder Weitere kommen wenigstens für sommerliche Stunden, Tage oder Wochen, kommen das erste Mal oder kommen nach Jahren zurück, mit besseren Autos als früher.
Und in den neuen Autos ist  Platz...
Heimatsehnsüchte, Hoffnungen, Helfer werden im Sommer in die Dörfer transportiert, Festzelte, Bühnen und Kultur.
Schön, wenn nicht nur Zugereiste unter sich feiern, sondern für ein paar Stunden Touristen, Sommersachsen und Frühling-Herbst-Winter-Dorfleute nebeneinander an den Tanzplätzen und kurzen Essensmarkenschlangen stehen.
Wobei... Von Ehrengästen wie dem rumänischen Staatspräsidenten Klaus Iohannis und den Stiftungsvätern Peter Maffay oder Michael Schmidt sehen Normalbesucher nichts. Außer Vorzeigepolizistinnen und Kontrollen bei der Dorfeinfahrt. - Und freilich die hergefahrenen Imbisszelte und Bühnen.
Auf einer Bühne am Abend:
"Frau Nachtigall, kleines Vögelein, willst du mir nicht mein Eigen sein?  ---  Wie soll ich dir dein Eigen sein. Ich bin ein klein Wildvögelein."
Das einzige deutschsprachige Lied im Konzert des Acker Quartetts. Dabei ist das, was da durch die Heimwehtuch-dekorierte Kirchenburgscheune fliegt, so eindrücklich, flirrend, haferwetterrau.
Die Vier des Quartetts spielen auch in anderen Zusammenhängen, englischsprachigen Jazz viel, Funk, Musik aus der Welt. Sängerin und Bassist sind Geschwister, geborene Kronstädter Siebenbürger Sachsen. Sie spielen auf Heimattreffen der in alle Winde Verstreuten genauso wie in Bukarester Clubs, in Kirchen oder bei europäischen Festivals.
Und vielleicht ist Siebenbürgen, wie vor langen historischen Zeiten, auch heute wieder zu wild eigentlich, um jemandes Eigen zu sein...? Mindestens für die Dauer eines Liedes, in Deutsch-Kreuz (rumänisch Crit), an einem gewittrigen Sommerabend am Rand der 2017er Haferlandwoche.


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