Montag, 31. Juli 2017

Berg- und Tal-große Zeitung


Vielleicht ist diese Stadt  -  eine Zeitung. Verloren von den größten der sagenhaften Hünen, fallen gelassen im Karpatenknie zwischen Burzen-Ebene, Bergrückengrün und Felsenkronen. Eine Zeitung, gelesen, ja, doch ausgelesen nicht.
Auf der Frontseite dieser Zeitung steht, verblichen, in eleganten, alten Lettern: Kronstadt. Daneben, schlank wie ein ungarisches Messer: Brassó. Und oben, flächig, frisch gedruckt: BRASOV.
BRASOV-Schriftzug auf dem Berg Zinne über Kronstadt, von der Aussichtsplattform aus
Und wieviel muss sie mitteilen, so eine Zeitung. Muss geerdet sein, muss bis in goldglänzend neue orthodoxe Kuppeln und verlassene evangelische Kirchenburgen des Umlands reichen; bis in den Karpatenwaldboden und die Ebene um den Burzenbach, so, wie Baumstamm und Wurzeln des Wappens.
Kronstädter Wappen am Katharinentor, dem ältesten noch erhaltenen Tor der Stadtbefestigung
Und muss zugleich nach oben sich heben. Dahin, wo Ideen immer weiter treiben, dahin, wo heute keine Krone mehr einen Kopf beschweren und beschützen mag. 
                        Bara Ausstellung, Kulturzentrum Universität Transilvania, 5 / 2017 

Temporäre Freiluftausstellung zum Zeitraum, in dem Brasov, in dem Kronstadt Stalinstadt hieß. 
Bei allen Verworrenheiten aber, allen komplexen, miteinander verklebten historischen Schichten  -











Stabile Kultur-Seiten zeigt diese `Stadt als Zeitung´ auch. 
Festivalul Promenadolor Brasovului, u.a. mit Freiluftateliers und historischen Stadtansichten an den Promenaden, 7/2017

Viele, trotz Sommerloch.
Bewährte. Ehrwürdige.


Weitdenkende, nahtänzerische oder ranschmeißerische Kultur-Seiten. Populäre. Cineastische.



















Auch solche in eigenwilligeren Farben.
Ob Spielplan, Gastspiel. Playground, Untergrund.
In Clubs, Cafés, Kulturzentren, in Straßen, Stadtmauerparks oder nahen Kirchenburgenorten
Detail von Alina Floroi kuratierter Ausstellung Celest, Casa Muresenilor, 7 2017

Vielleicht ist diese Berg- und Tal- und Straßen-große Zeitung, die mit den drei Namen, so multu-, multi-, mehrspurig, so verworren und komplex, dass sie einer modernen Zeitungskrise einfach wegspringen würde.


Vielleicht geht es also bergauf.





On the Go, oder so. Wie dieser junge Kronstädter Volontär, der zwar kein deutsch, kein englisch spricht, aber die hug, Umarmung, ganz frei, ganz unvermittelt in die Fußgängerzone bringt; englisch, rumänisch, mit stummen Engelszungen.



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Samstag, 29. Juli 2017

Hünenhund und Wolkenschaf


Gewitter jagen Hitzetagen nach wie wildgewordene Hunde. Grollen, bellen, Felsen-hoch. Schnappen nach Luft mit feuchten Nasen. Leise. Laut. Rasend zwischen Dächern und Bergen. Nachtschreck-finster, plötzlich, Mondzacken-hell, plötzlich, immer wieder.          
Doch manche Horde Gewitterhunde wirkt... wie abgerichtet. Dressiert von den Hünen vielleicht, die den Sagen nach weit vor Rumänien in Siebenbürgen lebten, und sich mitunter noch erste Sachsensiedler in die Schürzentaschen steckten, und mit ihnen von Berg zu Berg sprangen in alter Zeit.  
Detail aus Glasinstallation von Agata Secelean: "Rain Calling, Romanian Ritual", ausgestellt im Bistro de l´Arte 7 / 2017
Und gezähmte Hünenhöllenhunde wüten und bellen dann, wenn es etwas weniger stört. Ganz früh am Morgen, wenn alles noch schwarz, später grau, wenn der Stadtschlaf noch tief ist, zu tief, um Krach und Schreck, um Traum und Wach zu unterscheiden. 
Genauso war es, mehrere Tage hintereinander. Gewitter jeweils zwischen Nacht und Sonne, zwischen 2, 3, 4, 5 Uhr. Die Riesen  - wer weiß, vielleicht um aufzuräumen für kommende große Feiern? -  sie müssen ihn noch einmal aufgesucht haben, den Wald, den Himmel. Haben ihn mit Sachsenfleiß gewaschen und gebügelt und gekämmt, haben die Tage behängt mit weißen, grünen, blauen Tüchern aus herrlichstem Sommer. (Nur selten auch mit Wolkenschleiern für die schüchternen unter den Bergen.) Und haben nachts, so spät, dass es schon wieder früh war, ausgiebig ihre Gewitterhünenhunde rennen lassen. Wer weiß, vielleicht, um ausgerissene Schäfchenwolken zu hüten.
Theateraufführung (rumänisch und deutsch) Kronstädter Schüler, Kulturzentrum Reduta 6/2017


oder andere...
Vitrine in historischer Spielzeugausstellung, Casa Muresenilor, 5 / 2017
Wolkenschaf...

...hat sich wohl fangen lassen.

















In dieser Stadt der Kultur...


















vor den Hängen der Hirten.


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Mittwoch, 12. Juli 2017

Die Glücklichen und die Vergessenen


Vergesslich sind wir. Nicht nur bei allesschmelzender Hitze. Nicht nur, wenn wir alt sind oder dement, und amtlich schwächer werden dürfen. Nicht einmal nur, was die schlechten Nachrichten betrifft, die verbeulten, rostigen Nachrichten-Schnellzüge, die weiterrattern von Krawall zu Hunger, zu Feuer, zu Bombe, zu neuen Ministern, zu falschen Entschlüssen, weiter, weiter. Wir vergessen, was noch alles zu tun ist. Wir vergessen, wie oft wir uns schon gesagt haben, dass wir nicht vergessen sollten: zum Beispiel, wie schön es ist, wenn etwas funktioniert. Kopf, Beine, Krankenversicherung, Vater Staat. Immer wieder vergessen wir, dass wir nicht vergessen wollten, wie gut es uns geht. 














Da ist neulich die Frau, die diese Püppchen herstellt und verkauft. Umlagert von Sonne und Zeltschatten, von Bündeln aus Ohrringen und Ketten. "Where do you come from?", fragt sie. "Oh, Germany?" Deutschland, sagt sie, ach ja, da, wo alles seine Ordnung hat." Ein wenig müde klingt ihre Stimme, und so, als spräche sie von einer weit entfernten Welt.  
Hinter ihr die Fransen der Stadt, eine große, hügelgesäumte Weite. Burzenland. Vor ihr Bierzeltbänke. Musik. Und Mauern, majestätisch angeschrägt, hoch. Festungsmauern. Die alte Wächterzitadelle, Schlossbergfestung.
Prominent über der Stadt. Und doch in städtischen Touristenblättern verschwiegen, als wäre sie nicht existent.
Nur in älteren Schriften taucht sie auf. Bis vor ein paar Jahren beherbergten ihre Höfe noch touristen-`historisch´ ausstaffierte Restaurants. Und heute  -  bröckelnde Staffagen, für nichts und niemanden mehr. Geschlossen.
Ein wahrer Schloss-Geist, ein Geisterschloss, umwölkt von Geschichte, Belagerung, Knast; doch eigentlich vergessen, weggeschlossen hinter pseudostarken Burgtüren.


Und diese Art Geister sind nicht selten im Land.

Je genauer man hinsieht, desto häufiger findet man sie.
Wände mit Moosbärten, mit Rissen und Farbdosenlinien statt mit Familienbildern, Gardinen oder Nachttischlampen. Häuser, die leerstehen seit Jahr und Jahr und Tag. Stuckverzierte genau wie nüchterne, Fabrikhallen genau wie Häuser von Politikern, Dichtern, Geschichtsbuchmenschen.

Viele dieser Gebäude sind MONUMENT ISTORIC, beschildert, gelistet auf für intensiven Denkmal-Schutz zu langen Listen.
Die Zeit schreitet fort, rast, radelt, holpert. Ist vielleicht hier in Siebenbürgen eine andere Zeit. 
"Zögernd nur schlagen die Uhren", heißt es beim Kronstädter Dichter Adolf Meschendörfer, "zögernd bröckelt der Stein." 
Und doch legt die Zeit nie ihre gefährlichen Waffen ab, ihre Zähne. Sie nagt an Fenstern, Wänden, Dächern. (Zusammen mit ihren Gehilfen, Wind, Wetter oder Schrottdieben zum Beispiel.)  - Alles, während die Häuser zu warten haben. Warten, dass Richter und Anwälte arbeiten, dass schwierige Kämpfe zu Ende gefochten werden, zwischen Gesetz und Gesetz und so-so. Zum Beispiel: Ein Gesetz erlaubt Mietern bald nach der Wende, ihre Wohnungen preiswert vom Staat zu kaufen. Ein anderes gibt den vorkommunistischen Besitzern Rückgaberecht. Und nun? Nichts passt zusammen, man prozessiert, streitet, wartet. Die Doppelbesitzhäuser sind derweil wie auf dem Abstellgleis geparkt. Manche bewohnt, viele leer, und keiner, auch nicht der Staat, hat Lust, in so unklarer Lage mehr als hie und da einen winzigen Pinsel in die Hand zu nehmen.
Für tausende Häuser ein Problem, in Siebenbürgen und im ganzen Land. Am dichtesten gedrängt naturgemäß in der millionenstarken Hauptstadt. "Sad, empty buildings", sagt dort Stadtführerin Alina, leise.
Lieber zeigt sie "lucky houses": die, die eben genau das sein dürfen: Häuser. Keine vergessenen, einsamen Gespenster, keine windlöchrigen Ziegelhaufen. Häuser mit dichten Dächern und Wänden, für Menschen, die nicht unbehaust sind.
Ja, erinnern wir uns, wie glücklich so ein Haus.



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Sonntag, 2. Juli 2017

Junimond rund und und


Nun ist er da, der Juli, Sommerloch und sommer-hoch; rollt, umarmt, drückt mit aller Wettermacht. Lange vorbei ist der Lenz, vorbei die Monate der Jugend. Mai, Juni bedeuten so viel, gerade auch in Kronstadt. Nicht nur den iunie gibt es hier, nein, auch die Junii. Immerjunge Junge, immerjunge Ältere. Jünglinge, ungefähr der Wortbedeutung nach. Sie feiern ihre Feste in den schönsten Kostümen: Gardeuniform-elegant, Märchenpelz-verwunschen, goldbunt wie Sommerfelder. Aus der Oberen Vorstadt vor allem kommen sie, aus dem verwinkeltsten, bergnächsten, auch historisch rumänischsten Viertel dieser mindestens rumänisch-ungarisch-deutschen Stadt.



Nicht nur im Mai und Juni geht es bei ihnen rund, auch zu Ostern oder zu Mariä Himmelfahrt. Aber im Mai und Juni ganz besonders.
Rund um Heiligentage drehen sich die Feste der Junii, rund um Kreuze, rund um rund-um-rund-um-rund-um drehende Musik.
Um Stadtmarketing vielleicht manchmal auch. Und warum nicht, letztlich könnten Stadt und suchende Touristen sogar mehr davon brauchen.-
Vor allem aber tanzen unter den rumänischen Wimpeln Stolz und Lebensfreude mit.
(Und eingewebt in die Folkloresäume auch unterschiedliche historische Fäden.)





Lebensfreude? Aber ja, nicht nur oben in der Vorstadt. Ja, im Mai mit seinem hellen Grün und hellen Duft. Ja, im Juni mit seinen langen Tagen, seiner Sommersonnenwende und seinen alten Namen. Rosenmond. Brachmond (nicht wegen zuviel Feierns, nein, wegen der im Dreifelderwirtschaftsrhythmus einst brachliegenden Felder). Und... Johannismond.

Schon lange natürlich, lange vor dem deutschsprachigen Staatspräsidenten Johannis wurde auch in Rumänien, in Siebenbürgen der Johannistag gefeiert. Mit Feuer am Berg, wie andernorts? Mit Leidenschaft jedenfalls.

Einen deftig geerdeten Eindruck davon, bald 140 Jahre alt, bietet eines der Deutschen Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen: »Der Johannistag der Wölfe«


Detail der Ausstellung CELEST, Casa Muresenilor, Kronstadt 6/2017


Am Johannistag oder am Peter-und-Pauls-Tag Ende Juni wurde oft im historischen Siebenbürgen das Kronenfest begangen. So hatte einmal im Jahr nicht allein Kronstadt, so hatte jedes feiernde Dorf seine Krone: Hanfhechel-, nein, Baumstamm-hoch, Globus-rund, manchmal zentnerschwer, aus Grün und Blumen.   








"Bunter Abend" der deutschen Minderheit im Hof der Weberbastei, Kronstadt, 6/2017



Heute gibt es Kronenfeste nur noch selten; andere auch siebenbürgisch sächsische Feste aber wohl.  
Und nach dem Frühsommerkulturreigen brauchen alte und junge Junii, brauchen Junite (ihre Frauen), brauchen Altmägde und Jungaltknechte, Burschen und Tanten und alles andere Volk erstmal eine Pause. 
Siebenbürgen war  -ist-  vor allem ländlich geprägt. Und Bauern haben im Sommer für Feste keine Zeit. 









Doch in den Städten heute sollte Frei-Zeit, Unkenrufen zum Trotz, recht gut zu pflücken sein... Im Sommer zumal. Lang ist der. Die großen Ferien in Rumänien dehnen sich. Ganze drei Monate ruhen die Schulen, und mit ihnen das öffentliche Leben.  


Und trotzdem, hört man, übt schon der nächste Mond das runde Strahlen, zuckt´s schon dem nächsten Monat in den Füßen. Die Festsaison, gerade auch der Sachsen, pausiert nur kurze Wochen. Dann geht es  richtig los



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