Donnerstag, 22. Juni 2017

Er ist da! Ist er da?

Ankündigungen? Gab es, ja. Es wird auch in diesem Land gewartet.



Zum Beispiel hinter vielen Schaufensterscheiben: auf arbeitswillige Hände. Auf Kellner, Verkäufer, Personal.
Gewartet wird im Morgengrauen vor Passstellen und Ämtern.

Vor Gerichten wird ausgeharrt und vertagt. 




Gewartet wird, dass lange Prozesse ein Ende; dass verrottende Häuser einen Besitzer, Sanierer, Retter finden, bevor höchstens noch der Teufel in ihnen wohnt.  
Auf Entscheidungen wird gewartet, auf Lösungen. Auf die Zukunft. 
Auf Ewigkeit wird gewartet. Auf Gott. Oder auf immerhin endlich einen Pfarrer für eine traditions-große Pfarrwohnung, Kirche, Gemeinde.
(Andernorts auch auf eine Gemeinde für einen Pfarrer wohl, allzu lang.)



Nicht selten wird gewartet auch auf das Wachsen guter Geschäftsbeziehungen. 

Industrie- und Handelskammern helfen dabei, eine Deutsch-Rumänische zum Beispiel, so wie ihre Schwestern für fast jedes andere Land. 
Nicht in einer Kammer, nein, in einem hohen Hotel zwischen Schnellstraße und Berggrün hoffen so auf Erfolgszuwachs etwa Sachsen aus Sachsen und Sachsen aus Siebenbürgen. 
Nur auf das politische Haupt der Sachsen aus Sachsen wartet die Delegation diesmal umsonst. 
Der sächsische Ministerpräsident, religiös und Teil einer Minderheit, wie die Siebenbürger Sachsen auch, er ist in Bukarest geblieben. Gebannt von einer spannenden neuen Wendung im rumänischen Kampf zwischen Regierung und Regierung und Korruption. 
Nach Bukarest also? Fährt auch die Stadtschreiberin einmal. Und wartet. 
Gewalt oder etwa politische Demonstrationen sieht sie, in 24 Stunden jedenfalls, genauso wenig wie in Kronstadt. Auch Straßenhunde kaum.
Verrottende Häuser dafür zahlreich. Sehr elegante Häuser auch.

Und mitten in der wilden Wucherung von Stadt, ganz plötzlich, ist er da.

Godot. In Apartment 1.













Aber ist er auch zuhause?

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Mittwoch, 14. Juni 2017

Minute Traum für zwischendurch



Bolero of Human Rights
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Freitag, 9. Juni 2017

Bitte Kreuzung bleib gesund




"Wann gibste mir mein Pösi zurück?", plapperten schon vor Jahrzehnten Berliner Unterstufenkinder. Und fragten damit nach dem "Poesiealbum" mit erst noch leeren Seiten, das Mitschülern geliehen wurde, auf dass sie sich verewigen sollten. Durch Passbilder, krakelige Unterschriften, ungelenke Zeichnungen; manchmal auch durch begehrte Westaufkleber, die Abdrücke ins Papier glotzten mit zu dicken Wackelaugen.


Wirkliche Gedichtstrophen schafften es schon damals selten in so ein Album. Häufiger dafür die immer gleichen knappen Sprüche, wie abgeschrieben vom Banknachbarn:
 "Blaue Augen / roter Mund / liebe Paula / bleib gesund."
Oder, layout-ausgefuchst auf die Winkel des Blattes verteilt: "In allen / vier Ecken / soll Liebe / drin stecken."
(Solche Zeilen vom leise angeschwärmten Gregor oder Kai... oft genug gemurmelt, wurde daraus manchmal, wer weiß, vielleicht doch Poesie.)



Alle vier Ecken aber  -  sind in der Tat unwägbar genug. Sind eng, sind Falle, Kiste, Verlies.


Und können sich doch wandeln, sich strecken: zu Pfeilen, zu Richtungen, zu Wegen.





Und keiner weiß, wie weit, so ein Weg, und keiner weiß, wer wartet da, und keiner weiß, was wird passieren.
Unendlich. Unheimlich. Zum Schwindligwerden.










Viel Raum für Aberglauben an jedem Kreuzweg, schon immer. In alle Richtungen offener Raum, dem nicht zu trauen ist. Treffpunkt für böse Geister.







Und endlos trauriger Raum, todtrauriger Weg, für Christen zumal.
Via Dolorosa, voller Tränen, Fehler, Schmerzen.











Ein Schutzsymbol zur Sicherheit aufzustellen, hat vielerorts lange Tradition.
Schon die Römer stellten Weihesteine auf für ihre Wegegöttinnen. Feuer und Opfergaben dort noch bis ins Mittelalter, zum Verdruss der christlichen Bekehrer. Doch aufzuhalten waren die nicht.
An sich direkt natürlich: ein Kreuz an einer Kreuzung.

Manche der meist katholischen Flurkreuze, das kennt man, haben ein Dach auch, oder einen Zaun.









Diese Stadt aber ist nicht zuvorderst katholisch.
Orthodox ist sie, zum überwältigend größten Teil; römisch katholisch, ein wenig, und evangelisch etwas auch.
Und doch besitzen hier etliche Kreuzwegkreuze sogar ein eigenes Häuschen. Im streng rumänischen, alten Stadt-Westen jedenfalls, nah an den Karpatenfelsen. Ein eigenes Häuschen!
Als Regenschutz für böse Kreuzweggeister? Gott bewahre. Als Käfig, sie einzusperren wie Hühner?
Nein! Sie fortzuschicken, sie ganz fernzuhalten. Drinnen wohnt das Kruzifix, schlechte Geister halten Abstand.















Und die Gebetshäuschen, als seien sie nicht poetisch genug, haben noch eine geheimnisvolle Kraft: Sie laden hie und da zum Tanz. Laden flinke, schwindelfreie Tänzer ein, glitzernde Kostüme, Musik. Und sogar, so hört man, Beschützer hoch zu Ross... .


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Montag, 5. Juni 2017

Bruder, Schwester, Kreidetanz

Noch ein Fünkchen gute Laune in die letzte Sekunde des langen Kinder-Pfingst-Sommerferienanmutungs-Wochenendes. Denn weitergehen muss es immer. Muss. 



















Mit Zauber und mit Improvisation. 
Mit Geduld. Mit Brettern, Kabeln, Rohren.
Durch die Kabel und Rohre fließt heutzutage genug, anders als vor 30 Jahren. 
Wasser genug strömt genauso von oben, die Dächer, Wände, Rohre entlang (in zügiger Abwechslung mit viel Sonne). Und obwohl jede Woche irgendwann nach zehn Minuten Wolkenbruch die alten Gullikanäle an ihre Grenzen gelangen, und obwohl dann die Tal-tief gelegenen Straßen müffelnde Flüsse werden. - Gummistiefel trägt die Stadtbevölkerung nicht. Weder Bruder noch Schwester noch Mama. Es gibt auch keine zu kaufen. Wenn überhaupt, vielleicht, manchmal, dann "hm... im Anglerbedarf?" 
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 
                                                                                                     
                                                                                                                                                                                                                                                                                Im fernen Heimdepot einer Stadtschreiberin stehen, obwohl ringsum dort die Kanäle brav sind, ganze drei Paar Gummistiefel.
Wie es hier für alle ohne geht  -  fast ein Wunder.    
              
Ein anderes: Wie am Feiertag in der Tat die Busse morgens leer sind, kein Berufsverkehr, die Straßen ruhig, fast nirgendwo ein Mensch. Und dennoch sieht man in fast jedem Laden Verkäufer; die allermeisten Geschäfte sind, wie jeden Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag; deschis, geöffnet.       
Geöffnet trotz Feiertagsreigen, trotz extralangen Wochenendes, das ausgebreitet lag wie zum Trocknen nach intensivem Regen. 

Als erstes ausgebreitet lag der Internationale Kindertag. Kein Scherz: Der 1. Juni ist gesetzlicher Feiertag in Rumänien. Vor wenigen Monaten beschlossen. Ein gespaltenes Land, eine umstrittene Regierung braucht versöhnliche Nachrichten. Und ja, ein Familien-Kinder-Feiertag ist entzückend wie ein Hündchen. 
In welchen Staaten sonst böte der 1. Juni so viel arbeitsfreien Raum zum besinnlichen oder ratlosen Zusammenrücken, zum Asphalt- und Gesichter-Buntmalen? Im übrigen ehemaligen Ostblock nicht, trotz starker Kindertags-Tradition. Und  - an diesem Datum -  nicht einmal in der Türkei, auch wenn sie den Kindertag als erste eingeführt hatte vor bald 100 Jahren. Für "Frieden im Land, Frieden auf der Welt".



















Und hier im Land? Wurde auch der anschließende 2. Juni der Bevölkerung offeriert. Nicht als offizieller Feiertag, wie einige andere neu in den letzten Jahren. Aber als Quasi-Feiertag, als deutliche Empfehlung, als familienfreundliche Brücke zwischen Ziua Copului und Pfingsten. Neulich erst beschlossen, spontan vor zwei Wochen durch die rumänische Regierung.

Zuckersüße Kreide.


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Donnerstag, 1. Juni 2017

Manche ächzen, irren, schreien


Sicher, ein wenig suchen muss man. Nicht jede Straße trägt ein Haus mit brutalen Narben.
Und lange nicht jede balanciert überhaupt historische Häuser auf trittfreundlich gestauchtem Buckelpflaster. Im Zentrum, ja, wo eine Stadtschreiberin untergebracht ist, in der Nähe der grünen Berge, der Stadtmauern und -türme, ist die Bebauung pittoresk. Die größeren Teile der Stadt aber stehen nördlicher, westlicher, östlicher, ebener; Betonbausteine, überall da, wo sie nicht gestoppt werden von Karpatenwächterbergen. 
Einwohner nicht einer Klein-, sondern einer Großstadt schließlich müssen irgendwo wohnen: Trotz starken Rückgangs noch mehr als eine Viertelmillion.
Und zwischen ihnen Schatten, Schrammen, Risse.
Auch etwa ein (noch lange nicht Stadtschreiberinnen-)Alltag im Berlin der 80er, der 90er Jahre war von vernarbten Wänden gesäumt. Grau in grau, mietskasernenhoch. Einschusslöcher darunter, dunkel, stumpf von vielen Jahren. Zahlreich genug für beklommene Kindheitsmomente und für abgeklärtere auch. Real und doch Kulisse, Geschichtsbuch aus Stein und blätterndem Putz. Bilder einer untergegangenen, längst besiegt geglaubten Weltkriegswelt. Gefühlt viel weiter als ein halbes Jahrhundert entfernt.
Inzwischen ist fast jede solche Narbe in Berlin wegoperiert.
Und in der Stadt an den Karpaten? Die wenigen brutal vernarbten Wände auch hier Geschichtsbuchseiten? Doch, ja. Und wer liest sie? Diese blutige Geschichte ist erst 27 Jahre alt. (Das passende Alter, fanden manche Dekadenten manchmal irgendwo, um unsterblich rockstarjung aus dem Leben zu gehen.)
Hier, in Rumänien, auch in Kronstadt, verloren in Dezembertagen 1989 Etliche jeden Alters ihr Leben: In kaum wirklich geklärten Schießereien zwischen Aufständischen, Militär und Securitate, zwischen Gardisten und Terroristen, auch noch nach Ceausescus Flucht und Tod.

Bereits zwei Jahre vorher hatten Arbeiter gewagt zu revoltieren. Was für eine Ausnahme im durch tiefe Not unter dem wahnhaften Conducator eingeschüchterten Rumänien. "Ob wir verhungern, erfrieren oder erschossen werden", soll am Tag der 87´er Kronstädter Revolte auf einer Mauer gestanden haben, "das ist uns egal".  

Wenn Wände flüstern, ächzen, schreien könnten, sicher, viele würden es tun. Hier oder ganz woanders in der Welt.
Lachen auch. Oder etwas Ähnliches. Hysterisch? Manche nicht mal mehr. Fatalistisch. Müde. Irr. Wie die Wände in Kabul, gestern, die noch stehen, neben Blut und Staub. Kabul? Den Bergen nah wie Brasov/Kronstadt. Einwohnerzahl wie Berlin. Wachsend, wohl.
Und nun der 4., 5., 6. Anschlag dieses Jahr? Sind es 90 Tote diesmal, 400 Verletzte, oder mehr. Es verschwimmt; der Nachrichtenzug muss, Stunden später schon, langsam weiter. Zurück bleiben die Wände. Die, die noch kein Staub sind, keine Stahlbetongerippe. Schusslöcher? Fast nur ein Kitzeln. Terroristen? Sprengstoffkrater? Ein alter Hut; haha, ein Schnee von morgen.
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